Logbuch

5 Jahre zivilgesellschaftlichen Kampfs für das Retten von Leben im Mittelmeer

Fünf Jahre. SOS MEDITERRANEE ist seit fünf Jahren im zentralen Mittelmeer im Einsatz. Während diesen fünf Jahren wurden wir Zeugen davon, wie sich die Situation im zentralen Mittelmeer zuhnemends verschlimmert hat. Zugleich haben sich jedoch Tausende von Bürgerinnen und Bürgern zusammen mit uns gegen das Sterben im Mittelmeer stark gemacht. Dank dieser aussergewöhnlichen Unterstützung konnte SOS MEDITERRANEE bereits 31’799 Frauen, Männer und Kinder aus Seenot retten.

Es  beginnt mit einem Gefühl der Empörung, gefolgt vom Widerwillen,  tatenlos zuzusehen, wie Tausende vor den Toren Europas im Mittelmeer ertrinken.

Nachdem die Europäische Union am 31. Oktober 2014 die  zuvor von Italien ins Leben gerufene Operation Mare Nostrum, einstellt, gibt es Anfang 2015 auf der bis heute tödlichsten Fluchtroute keine Such- und Rettungskapazitäten mehr.

Zusammen mit einer hHandvoll europäischen Bürgerinnen und Bürger gründen Klaus Vogel, Kapitän der deutschen Handelsmarine, und Sophie Beau, eine französische humanitäre Helferin, deshalb im Frühjahr 2015 SOS MEDITERRANEE. Nur wenige Monate später chartern sie ein erstes Rettungsschiff: die Aquarius.

Bei den ersten Einsätzen im Februar 2016 hört die Rettungscrewzum ersten Mal von dem, was die Geretteten die «libysche Hölle» nennen: Erzählungen von Inhaftierung, Erpressung, Vergewaltigung, Zwangsarbeit …

Zu dieser Zeit wird SOS MEDITERRANEE von zahlreichen europäischen institutionellen und politischen Akteuren unterstützt und für sein Engagement gelobt.

Doch im Jahr 2017 kommt es zu einem Wendepunkt: Unsere Organisation sowie auch andere zivile Seenotrettungsorganisationen werden zur Zielscheibe erster Verunglimpfungen ihrer Rettungseinsätzen auf See und werden einer «Komplizenschaft mit Schmugglern» oder der Förderung eines «Pull-Faktor-Effekts» beschuldigt – Behauptungen, die nie belegt werden konnten.

Im Juni 2018 ist die Aquarius das erste humanitäre Schiff, dem die italienischen Behörden die Ausschiffung von Überlebenden in einem europäischen Hafen verweigern. Nach mehr als 36 Stunden Wartezeit sind das Rettungsteam und die 630 erschöpften Überlebenden an Bord gezwungen, Kurs  auf den mehr als 1.500 km entfernten Hafen von Valencia in Spanien zu nehmen, um endlich von Bord gehen zu können.

Mit der Schliessung italienischer Häfen für humanitäre Schiffe durch den damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini, wird ebenfalls die Verantwortung für die Such- und Rettungszone des zentralen Mittelmeers offiziell an die libysche Küstenwache übergeben. Dies führt zu einer chaotischen Situation aufgrund fehlender Kapazität der libyschen Küstenwache, Such- und Rettungseinsätze zu koordinieren. Ausserdem bringt die libysche KüstenwacheGerettete zurück nach Libyen. Dies steht invölligem Widerspruch zum internationalen Seerecht , da Libyen nicht als sicherer Ort betrachtet werden kann.

Während SOS MEDITERRANEE mit seinen Rettungseinsätzen die von den europäischen Staaten in der Seenotrettung hinterlassene Lücke füllt und sich gegen die humanitäre Tragödie im Mittelmeer einsetzt, sieht sich unsere Organisation mit einem Mangel an Solidarität seitens Europas konfrontiert, sobald sie Überlebende an Bord hat. Zahlreiche Male wurden Gerettete tagelang ohne eine Lösung für die Ausschiffung auf See zurückgelassen, während europäische Behörden zögerten, uns einen sicheren Ort zuzuweisen. Eine zusätzliche Strapaze für Menschen, die bereits erschöpft und geschwächt sind von dem, was sie während und vor ihrem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, erlebt haben.

Und um den Zynismus noch zu verstärken, ist SOS MEDITERRANEE, wie andere Seenotrettungsorganisationen, administrativen Schikanen ausgesetzt, die uns davon abhalten, Leben zu retten. Seit dem 22. Juli 2020 ist die Ocean Viking in Italien blockiert und wird von den italienischen Behörden festgesetzt.

Aufgeben kommt aber nicht in Frage! An der Veranstaltung zum 5-jährigen Jubiläum von SOS MEDITERRANEE im September erinnert die Geschäftsführerin des Theaters La Criée in Marseille und Unterstützerin von SOS MEDITERRANEE, Macha Makeïeff : «Leben zu retten ist eine absolute Bedingungslosigkeit.» Diese Worte bringen uns zusammen. Es ist den Tausenden europäischen Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, die sich an unserer Seite engagiert haben, dass wir in den letzten fünf Jahren all diese Hindernisse überwinden konnten. Und unser Kampf geht weiter!

Ausgabe vom 30. September 2020: http://x21ofalppp.preview.infomaniak.website/de/log/46-blick-auf-das-zentrale-mittelmeer-zwei-weitere-ngo-schiffe-an-der-durchfuehrung-ihrer-lebensrettenden-einsaetze-gehindert/In den letzten Ausgaben unseres “Blick auf das zentrale Mittelmeer” erfahren Sie mehr  über die aktuelle Lage im zentralen Mittelmeer:

Ausgabe vom 14. Oktober 2020: http://x21ofalppp.preview.infomaniak.website/de/log/50-blick-auf-das-zentrale-mittelmeer-schockierender-kreislauf-der-gewalt-bei-menschen-die-aus-libyen-fliehen-von-der-un-angeprangert-auf-see-von-der-eu-verstaerkt/