[PRESSEMITTEILUNG] Tragischer Tag im Mittelmeer: Tödliches Schiffsunglück – Libysche Küstenwache fängt erneut Flüchtende ab

Für die europäische Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE war der gestrige Tag einer der dramatischsten seit Beginn des Rettungseinsatzes im Mittelmeer vor knapp zwei Jahren. Nachdem die Teams von SOS MEDITERRANEE und Ärzte ohne Grenzen, die gemeinsam das Rettungsschiff Aquarius betreiben, in den frühen Morgenstunden hilflos mit ansehen musste, wie die libysche Küstenwache in internationalen Gewässern ein Flüchtlingsboot abfing, wurde das Team zur Rettung eines bereits sinkenden Schlauchboots gerufen. 98 Menschen konnte das Team unter Mobilisierung aller Kräfte vor dem Ertrinken bewahren. Für zwei Frauen kam jede Hilfe zu spät. Auf Anweisung der italienischen Küstenwache patrouilliert die Aquarius momentan im Einsatzgebiet auf der Suche nach weiteren Booten in Seenot.

Die Lage war verheerend, mit vielen medizinischen Notfällen innerhalb kürzester Zeit. Die Menschen kamen einer nach dem anderen, bewusstlos und atmeten nicht„, sagte Aoife Ni Mhurchu, Krankenschwester von Ärzte ohne Grenzen an Bord der Aquarius.

Der Einsatz war extrem schwierig. Das Schlauchboot hatte bereits an einer Seite Luft verloren, als wir uns mit den Beibooten näherten. Die Menschen trugen keine Rettungswesten und einige waren bereits im Wasser. Wir haben sofort alles zu Wasser gelassen, woran sich die Menschen festhalten konnten, aber viele waren bereits bewusstlos als wir sie aus dem Wasser zogen und mussten wiederbelebt werden„, erklärte Klaus Merkle, Einsatzleiter von SOS MEDITERRANEE an Bord der Aquarius, die Lage vor Ort. Edouard Courcelle, freiwilliger Retter an Bord der Aquarius, war als einer der ersten beim sinkenden Schlauchboot: „Ich habe zwei Babys aus dem Wasser gezogen, die buchstäblich unter der Oberfläche schwammen. Noch auf dem Beiboot habe ich ihnen eine Herzmassage gegeben. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt haben.“

Am Ende konnten sieben Menschen wiederbelebt werden, darunter eine Frau, drei Babys und drei Kleinkinder. Für zwei Frauen kam jede Hilfe zu spät. Alle Widerbelebungsversuche scheiterten. Sie hinterlassen zwei Kinder, ein vier Monate altes Baby, das momentan auf der Aquarius versorgt wird und einen vierjährigen Jungen. Er ist einer von 15 medizinischen Notfällen, die von der italienischen Küstenwache per Hubschrauber ins nächstgelegene Krankenhaus nach Sfax, Tunesien, ausgeflogen werden mussten.

Die Überlebenden des Bootsunglücks stehen unter Schock. Laut Angaben des medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen haben sie durch das Einatmen von Treibstoffgasen die Orientierung verloren. Einige leiden an Unterkühlung oder Hautverätzungen, die auf die gefährliche Mischung aus Treibstoff und Meerwasser im Schlauchboot zurückzuführen ist.

Laut Aussagen der Überlebenden waren bereits vor dem Eintreffen der Aquarius Menschen ins Wasser gefallen. Eine noch unbestimmte Zahl an Menschen wird vermisst, darunter mehrere Kinder und ein eineinhalb Monate altes Baby. Die Berichte der Überlebenden zeugen vom Ausmaß des Dramas: „Die Menschen waren vollkommen in Panik, ich war oben auf dem Schlauchboot und plötzlich zog jemand von hinten an mir. Ich konnte mich nicht länger festhalten und ich fiel ins Wasser“, erzählte ein Überlebender aus Kamerun. „Ich war bereits ins Wasser gefallen und versuchte zurück zum Boot zu gelangen, als sich jemand von hintern an mich festklammerte und mich mit nach unten zog„, ergänzte seine Ehefrau.

Doppelt tragischer Tag

Bereits in der Nacht von Freitag auf Samstag war die Aquarius von der italienischen Seenotleitstelle MRCC zu einem Boot in Seenot gerufen worden. „Im Scheinwerferlicht konnten wir die verängstigten Gesichter der Menschen sehen und wir hörten, wie sie um Hilfe schrien. Unsere Teams waren bereit, diesen Männern, Frauen und Kindern in Not zu helfen, aber libysche Küstenwache befahl uns, das Gebiet zu verlassen und lehnte jedes Unterstützungsangebot kategorisch ab “, sagte Klaus Merkle. Die italienische Küstenwache informierte die Aquarius wenig später, dass die libysche Küstenwache das Kommando vor Ort übernommen habe und ihren Anweisungen Folge zu leisten sei. Über Funk konnte die Aquarius mitverfolgen, dass die libysche Küstenwache insgesamt zwei Schlauchboote angefangen hat. Über den Verbleib der beiden Boote ist nichts bekannt.

Laut internationalem Seerecht müssen alle gerettete Personen in einen sicheren Hafen gebracht werden. Und das ist bestimmt nicht Libyen, wo es keine funktionieren staatlichen Strukturen gibt und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind“, kommentierte Sophie Beau, Vizepräsidentin des internationalen Netzwerks von SOS MEDITERRANEE den Vorfall.

Für heute haben wir gemeinsam mit anderen Seenotrettungsorganisationen in den sozialen Medien zu einem bundesweiten Aktionstag für das Recht auf Flucht aufgerufen. Und keine 24 Stunden davor sterben schon wieder Menschen im Mittelmeer. Das muss ein Ende haben! Diese Menschen dürfen nicht in der Gleichgültigkeit Europas ertrinken. Die Schreie der Menschen, die von der libyschen Küstenwache abgefangen werden und die an Bord sinkender Schlauchboote um ihr Leben kämpfen müssen in Europa gehört werden“, sagte Caroline Abu Sa’Da, Geschäftsführerin von SOS MEDITERRANEE Schweiz.