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SOS MEDITERRANEE

Über uns

SOS MEDITERRANEE ist eine maritime, zivilgesellschaftliche, humanitäre Organisation für Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Die Organisation gründete sich im Mai 2015 nach Einstellung des italienischen Seenotrettungsprogramms „Mare Nostrum“ im Jahr 2014. Sie reagierte damit auf die dramatisch ansteigende Zahl ertrinkender Menschen im Mittelmeer. Mehr erfahren Sie hier.

Ziele von SOS MEDITERRANEE

  • Leben retten – Rettung von Menschen aus Seenot
  • Schützen & begleiten – medizinische Versorgung & Unter-stützung von Überlebenden and Bord des Schiffes
  • Bezeugen – Dokumentation der Schicksale von Geretteten sowie der allgemeinen Situation im zentralen Mittelmeer

Über 32’000 Menschen gerettet

SOS MEDITERRANEE ist mit dem Rettungsschiff Ocean Viking, einer professionellen Rettungscrew und einem medizinischen Team direkt vor Ort, um Frauen, Männer und Kinder, die im Mittelmeer in Seenot geraten, zu retten. Seit Februar 2016 hat SOS MEDITERRANEE über 32’000 Menschen gerettet und ist Zeuge der Abwesenheit eines offiziellen Seenotrettungs-programms und fehlender institutioneller Massnahmen im Mittelmeer geworden.

Über unseren Newsletter erhaltet ihr regelmässig Neuigkeiten zu unserer lebensrettenden Arbeit im zentralen Mittelmeer.

Das zentrale Mittelmeer, eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt

Seit 2014 haben laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 20.000 Menschen ihr Leben im Mittelmeer verloren, Dunkelziffer unbekannt.[1] Rund 80% davon starben im zentralen Mittelmeer, dem Meeresabschnitt zwischen Libyen und Italien und Einsatzgebiet von SOS MEDITERRANEE. Heute ist dieses eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt.

Unter anderem ist die Überquerung des zentralen Mittelmeers so gefährlich, da die Distanz zwischen Libyen und Europa 300 bis 450 km beträgt (Vergleich: Bern – Stuttgart und Bern – Frankfurt), während die Boote, die für die Überfahrt verwendet werden, systematisch überfüllt, in einem extrem zerbrechlichen und seeuntauglichen Zustand sind:

  • Ein Schlauchboot ist normalerweise für 30 bis 60 Personen gedacht, oft befinden sich jedoch über 100 Personen an Bord. Bei Schlauchbooten kann dies dazu führen, dass sich der Boden verbiegt und die Menschen, die in der Mitte sitzen, von den anderen Menschen zerquetscht werden.
  • Holzboote haben manchmal über 800 Personen an Bord, obwohl sie für viel weniger Personen gebaut sind. Einige der Menschen befinden sich im Rumpf des Bootes, unter dem Deck. Dies ist äusserst gefährlich, denn wenn das Boot kentert oder sich mit Wasser füllt, haben diese Menschen fast keine Überlebenschance.
  • Was auf den Bildern nicht direkt zu sehen ist: Oft haben diese Boote zu wenig Benzin, um das Mittelmeer überqueren zu können. Zudem hat es auf den Booten keinen Platz, um genügend Essen oder Trinken mitzunehmen. Die Menschen auf den Booten tragen des Weiteren oft keine Schwimmwesten.

Zudem ist die Überquerung des zentralen Mittelmeers in den letzten Jahren noch gefährlicher geworden, die Sterblichkeitsrate ist explodiert und die humanitäre Lage hat sich weiter zugespitzt. Die IOM schätzt, dass 2019 einer von 33 Menschen bei dem Versuch, das zentrale Mittelmeer zu überqueren, ums Leben gekommen ist, während es im Jahr 2017 einer von 51 war.[1]

Dieser Anstieg der Sterblichkeitsrate ist vor allem auf den Mangel an staatlichen und zivilen Rettungskapazitäten im Mittelmeer zurückzuführen. Seit dem Ende des italienischen Seenotrettungsprogramms Mare Nostrum, welches in einem Jahr rund 150.000 Menschen aus Seenot rettete, gibt es keine staatlichen Programme mehr, die sich der Seenotrettung im Mittelmeer widmen. Seit 2017 sind zudem zivile Rettungsorganisationen, die ihre Such- und Rettungsaktivitäten im zentralen Mittelmeer im Jahr 2015 aufgenommen haben, aufgrund administrativer und gerichtlicher Blockaden nur noch sporadisch im Einsatz. Darüber hinaus werden seit 2017 immer mehr Menschen völkerrechtswidrig von der libyschen Küstenwache auf See abgefangen und zurück nach Libyen gezwungen (siehe libysche Küstenwache).

Aufbau der libyschen Küstenwache

Bereits im Februar 2017 einigte sich der Europäische Rat, 200 Millionen Euro für die Finanzierung, Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache bereitzustellen. Im Juni 2018 erfolgte zudem die Anerkennung einer libyschen Such- und Rettungszone. Damit sind die libyschen Behörden de facto für die Reaktion auf Seenotfälle und die Koordination bei der Zuweisung eines sicheren Ortes für die geretteten Menschen zuständig. Diese Zuständigkeit erstreckt sich auch auf internationale Gewässer, also das Gebiet, in dem die zivilen Seenotretter*innen im Einsatz sind. Seit die libysche Leitstelle Such- und Rettungseinsatze in der Region koordiniert, ist die Zahl der auf See abgefangenen und illegal nach Libyen zurückgebrachten Personen dramatisch gestiegen. Gleichzeitig mussten alle Seenotrettungsorganisationen miterleben, dass die libysche Rettungsleitstelle nicht in der Lage ist, effektiv und sicher auf Seenotfälle zu reagieren. In der Regel antwortet die Leitstelle nicht oder nur mit grosser Verspätung auf Kontaktaufnahmen, oder es fehlen Ansprechpartner*innen, die Englisch sprechen. Häufig werden widersprüchliche oder unklare Anweisungen gegeben. Am schwersten wiegt jedoch, dass die libysche Küstenwache Gerettete gegen geltendes Recht zurück nach Libyen bringt, wo sie erneut in einen Zyklus von Menschenrechtsverletzungen und Gewalt fallen.

[1] IOM, Missing Migrants: https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean, aufgerufen am 15. November 2020

[2] IOM, Missing Migrants: https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean, aufgerufen am 18. November 2020

[1]

Mehr über den aktuellen Einsatz von SOS MEDITERRANEE erfahren Sie hier.

Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer

Wie läuft ein Rettungseinsatz ab?

Auf der gefährlichsten Fluchtroute der Welt – dem zentralen Mittelmeer – suchen und retten wir Menschen in Seenot. Für jede Phase eines Einsatzes ist Professionalität gefragt, damit auch in kritischen Situationen möglichst alle Schiffbrüchigen gerettet werden können. An Bord unseres Schiffes werden die Geretteten mit dem Nötigsten versorgt. Eine Rettung ist aber erst dann abgeschlossen, wenn die Menschen an einen sicheren Ort an Land gebracht worden sind.

 

Suche und Sichtung von Schiffbrüchigen

Ein Rettungseinsatz beginnt in der Regel mit der Sichtung eines in Seenot geratenen Bootes. Meist sind die Schlauch- oder Holzboote deutlich überbesetzt. Zudem verfügen die Menschen an Bord in den seltensten Fällen über ausreichende Schutzausrüstung wie beispielsweise Rettungswesten und viele der Menschen können nicht schwimmen. Ein solches Boot ist daher ab dem Zeitpunkt, zu dem es von der libyschen Küste ablegt, als in Seenot zu betrachten. (Siehe Posten „zentrales Mittelmeer“)

Das Auffinden eines in Seenot geratenen Bootes kann auf verschiedenen Wegen erfolgen:

  • Eine Möglichkeit ist der Empfang eines Notrufes durch eine Seenotrettungsleitstelle, im zentralen Mittelmeer also der libyschen, italienischen oder maltesischen. Jedes Schiff in der Nähe des in Seenot geratenen Bootes kann diesen Notruf empfangen. Das nächstgelegene Schiff muss dann so schnell wie möglich Hilfe leisten.
  • Eine weitere Möglichkeit stellt die Sichtung eines in Seenot geratenen Bootes Dies geschieht auf der Ocean Viking durch Brückenbeobachtung per Fernglas beziehungsweise mithilfe der beiden Schiffsradare, bei Dunkelheit mit Unterstützung der Infrarotkamera. Sobald ein Crewmitglied ein Boot in Seenot entdeckt, erbittet der/die Such- und Rettungskoordinator*in an Bord die zuständige Koordinierungsbehörde, die Rettung durchführen zu dürfen.
  • Eine andere Möglichkeit ist die Sichtung durch zivile Flugzeuge, die das Mittelmeer beobachten. Sobald diese aus der Luft ein Boot in Seenot erkennen, alarmieren sie die Schiffe in der Nähe.
  • Ausserdem werden auch Funkgespräche zwischen anderen Schiffen abgehört, die sich im näheren Umfeld unseres Schiffes befinden. Der/die Kapitän*in und der/ die Such- und Rettungskoordinator*in müssen in diesem Fall eine Einschätzung treffen, ob die Funksprüche auf ein in Seenot geratenes Schiff hindeuten. Ist dies der Fall, wird bei den zuständigen Behörden um Genehmigung gebeten, bei der Rettung unterstützen zu dürfen.

 

Rettung und Aufnahme an Bord

Die Bergung der zu rettenden Personen ist ein hochgradig kritischer Moment während eines Such- und Rettungseinsatzes. Nicht selten trifft unser Team auf Boote, die bereits beschädigt sind und zu kentern drohen. Zudem können Bedingungen wie hoher Wellengang, Unwetter oder schlechte Sicht in der Nacht die Rettung zusätzlich erschweren. Die professionellen Kolleg*innen unseres Rettungsteams werden durch Schulungen und regelmässige praktische Trainings auf solche Situationen vorbereitet.

Für die Rettung nähert sich das Rettungsteam nicht mit dem grossen Schiff, sondern mit schnellen Beibooten (siehe Bilder) dem Schlauch- oder Holzboot in Seenot und nimmt Kontakt mit den Menschen auf. Nicht selten sind diese in Panik. In solchen Fällen ist es für die Crew entscheidend, Ruhe zu bewahren und den Menschen die Angst zu nehmen. Zugleich informiert sie in mehreren Sprachen über den Ablauf der Rettung. Danach verteilt sie Rettungswesten an alle, um ein Ertrinken beim Verlassen des Fluchtbootes zu verhindern. Erst wenn alle Personen eine Rettungsweste angelegt haben, nimmt das Rettungsteam die Menschen in kleinen Gruppen an Bord der Schnellboote. Medizinische Notfälle werden zuerst evakuiert, anschliessend folgen Kinder und Frauen, dann Männer.

Der Journalist Ben hat uns an Bord unseres ehemaligen Rettungsschiffs Aquarius begleitet. In seiner Reportage erklärt er, wie ein Rettungseinsatz abläuft. Weitere Reportagen über SOS MEDITERRANEE finden Sie hier.

Leben an Bord

Versorgung an Bord

An Bord unseres Rettungsschiffs nimmt das medizinische Team die Geretteten in Empfang und versorgt sie: Die Geretteten erhalten saubere Kleidung, ein Handtuch, eine Decke, Wasser und Essen. Frauen und Kinder werden in einem eigenen Schutzraum untergebracht. Den Männern steht ein weiterer Raum zur Verfügung.

Aufgrund unseres Covid-Protokolls müssen alle an Bord Schutzmasken tragen (siehe Bild). Mehr zu den Covid-Schutzmassnahmen finden Sie beim Posten „medizinische Betreuung“.

 

Zeit zum Reden – Dokumentation der Geschichten der Geretteten

Während der Fahrt an einen sicheren Ort dokumentieren unsere Teams an Bord Geschichten der Geretteten – eine wichtige Aufgabe, um Schicksale der Überlebenden zu bezeugen und ihnen Sichtbarkeit verschaffen zu können. Eine Auswahl verschiedener Geschichten finden Sie hier ([STIMMEN DER GERETTETEN]).

 

Zeitvertrieb

Da es oft mehrere Tage dauert, bis den Geretteten ein sicherer Ort zugewiesen wird, an dem sie an Land gehen können, haben wir Spiele, Papier, Instrumente etc. an Bord, um die Zeit zu vertreiben, das Erlebte zu verarbeiten und um die Freude über einen sicheren Ort zum Ausdruck zu bringen (siehe Bild).

Julia, Communications Officer auf der Ocean Viking erinnert sich z.B. an „den Künstler“: Nach einer Rettung erhalten alle Geretteten ein sogenanntes Rescue-Kit – darin befinden sich grundlegende Bedarfsgegenstände, darunter auch trockene Kleidung. Ein Kleidungsstück, das alle bekommen, ist ein weisses T-Shirt. Nach einem Tag an Bord fragte „der Künstler“ nach Stiften und fing an, alle T-Shirts nach den Wünschen der Leute zu dekorieren. Ich war erstaunt, wie konzentriert er war und wie es allen die Möglichkeit gab, in solch einer aussergewöhnlichen und anstrengenden Situation, eigene Vorlieben und damit die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen.“